Unser Artikel für "Das junge Amtsblatt", Pregarten, Sommer 2024
Es gibt Erlebnisse, die ich am Liebsten nicht haben möchte. Eigentlich war bisher alles super, aber dann war da der Tag, wo einer aus unserer Gruppe von jemand anderem ziemlich gemein fertig gemacht wurde … Dabei hat er auch noch gelacht.
Die meisten waren geschockt und waren unsicher, was sie machen sollten. Sie schauten weg, waren still, mischten sich nicht ein. “Sollen die das doch untereinander regeln, da misch ich mich nicht ein.", dachten die einen. Andere wiederum überlegten: “Ui, da muss aber wohl was vorgefallen sein. Hab ich nicht mitbekommen. Ich halte mich besser raus”. Ich wollte mich auch nicht einmischen, ich hatte Angst, dass ich dann auch dran bin und Ärger bekomme. Aber gut gefühlt hab ich mich nicht.
Als wir uns dann alle das nächste Mal getroffen haben, ging es gleich wieder los. Diesmal haben sogar ein paar von uns mitgemacht. Andere haben zugeschaut. Es gab auch welche, die weg gegangen sind oder so getan haben, als wäre nichts passiert. Dagegen hat wieder niemand etwas gemacht, dabei war es noch schlimmer als beim letzten Mal. Gelacht haben auch mehr als vorher.
So steigerte sich das dann – mit jedem Treffen wurde es schlimmer. Ich bekam auch mit, dass sowas jetzt nicht nur in unserer Gruppe passiert. Die verfolgen den jetzt sogar auf dem Heimweg, schicken schlimme Nachrichten aufs Handy und erzählen überall total arge Geschichten. Ich hab mich nicht getraut, dazwischen zu gehen. Ich hatte zu viel Angst, das selbe zu erleben. Außerdem waren “die” jetzt noch mehr geworden.
Ich konnte abends nicht mehr einschlafen und hatte schlechte Träume. Irgendwie verfolgte mich die ganze Geschichte bis in den Schlaf. Als ich gestern aufwachte, wusste ich, ich muss etwas machen. Ich habe dann im Internet nach Hilfe gesucht. Jetzt habe ich verstanden, warum das alles passiert und was ich machen kann!
Wir Menschen sind nämlich “Rudeltiere”. Wir leben in Gruppen. Wir brauchen andere Menschen. Wir spielen miteinander, unterhalten uns, treffen uns, essen zusammen und haben Spaß. Manchmal streiten wir uns auch – alles normal. Am besten kann man unser Verhalten im “Rudel” verstehen, wenn wir uns mit einem Hunderudel vergleichen.
Da gibt es zum Beispiel den Hund, der andere gern nervt oder ärgert. Er ist immer bei allem irgendwie dabei, manchmal schubst er sogar andere, knurrt als Erster, drängt sich gern in den Vordergrund, wenn's Futter gibt. Und wenn ihm danach ist, sucht er sich jemanden aus, bei dem er seine Aggressionen ausleben kann.
Und wen sucht er sich dafür am liebsten aus? Natürlich “die Lola”. Nicht deshalb, weil sie Schlappohren oder flauschiges Fell hat, das haben alle im Rudel, aber alle haben besondere Merkmale, an denen man sie erkennt: äußerlich und charakterlich. Lola ist total lieb. Sie gibt schnell klein bei und wartet, bis ein Angriff vorüber ist. Dann zieht sie sich zurück und wartet, bis es wieder normal ist. Sie wird deshalb ausgewählt, weil sie sich am wenigsten wehrt.
Die anderen im Rudel halten sich meist raus, wenn der Angreifer auf Lola losgeht oder es Streit zwischen den beiden gibt. Niemand will Ärger bekommen mit dem, der immer streiten muss. Einige vom Rudel tun so, als würde nichts passieren und knabbern an einem Ast oder Knochen. Dabei müssen sie immer wieder mit einem Auge rüberschauen, ob es nicht endlich vorbei ist. Es gibt aber auch die, die mitkläffen und in Lolas Bein beißen, oder daneben stehen und warten, bis der Angreifer fertig ist. Dann gehen sie zu Lola und ärgern sie auch noch einmal.
Und was passiert, wenn es im Hunderudel zu heftig wird, wenn es ständig Streit gibt und immer wieder Lola angeknurrt und angebellt und bedrängt wird? Dann kommt der Rudelführer, der Leithund. Der regelt das dann und wird dabei ziemlich deutlich. Er sorgt dafür, dass der Angreifer die Lola in Ruhe lässt. Er macht klar, dass Lola zum Rudel gehört – so wie alle anderen. Denn er weiß, nur dann, wenn er dafür sorgt, dass alle miteinander auskommen, nur dann geht es auch allen gut. Und das ist das Wichtigste im Rudel, dass es allen gut geht, alle ihren Platz haben und respektiert werden.
Ich bin heute mit ein paar anderen aus unserer Gruppe zu “unserem Rudelführer” gegangen. Wir haben erzählt, was alles passiert ist. Und dass es nicht einfach nur ein Streit ist, sondern dass wir auch eine Lola in unserer Gruppe haben, die Hilfe braucht. Es hat funktioniert. Unser Rudelführer hat sich sofort darum gekümmert und hat mit allen gesprochen. Er sprach auch mit ein paar von unseren Eltern. Jetzt weiß ich, dass wir endlich wieder alle miteinander Spaß haben können in “unserem Rudel”.
Es gibt eine Lösung. Man muss sich sicher einen Ruck geben. Wenn in deinem Leben auch “eine Lola” sein sollte, geh zum Rudelführer und erzähle genau, was du bemerkt hast. Am besten zusammen mit anderen aus “dem Rudel”. Rudelführer gibt es überall: in der Schule, im Kindergarten, zu Hause, im Verein, in der Pfarre, bei “der Musi”, im Schulbus, in deiner Kinder- und Jugendgruppe – Erwachsene, denen Du vertrauen kannst … immer und überall gibt es jemanden.
Sissi Kaiser & Tom Beyer arbeiten mit Medien und zur Gesundheit, machen Filme, Workshops, Lehrgänge und Bücher. Komm uns im Online Studio nautikuss am Stadtplatz besuchen!
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Bildrechte Lola: Ina Teschemer Leithund: Pixabay © Angela Angreifer: Pixabay © Adina Voicu Mitläufer: Pixabay © Volker Glätsch Zuschauer: Pixabay © Yama Zsuzsanna Márkus Alle sind verschieden >>> Pixabay © PrompterMalaya press 👍 and ⭐